«Crypto-Leaks»: Die CIA und der deutsche Nachrichtendienst haben
jahrelang über eine Schweizer Firma gegen 100 Staaten abgehört – der
Bundesrat reagiert
Laut einer internationalen Recherche unter Beteiligung von SRF hat die Zuger
Firma Crypto AG bis 2018 mit der CIA kooperiert. Über manipulierte
Chiffriergeräte aus der Schweiz sollen amerikanische und deutsche
Nachrichtendienste andere Staaten abgehört haben.
Georg Häsler Sansano, Bern Aktualisiert 11.02.2020, 14.10 Uhr
Über die Zuger Firma Crypto hat der BND während Jahrzehnten zahlreiche
Staaten ausspioniert.
Steffi Loos / Getty
Dort, wo es schattig und düster wird im Staat, beginnt das Revier der
Investigativjournalisten. Sie verstehen sich als Wachhunde der Demokratie
mit feiner Nase für Verschwörung und Verrat. Oft enden ihre Fährten blind im
Nirgendwo. Doch diesmal ist der «Rundschau» in Zusammenarbeit mit der
«Washington Post» und dem ZDF offenbar ein Coup gelungen: Hunderte von
Seiten geheimer Dokumente sollen gemäss ihrer Berichterstattung belegen,
dass deutsche und US-Nachrichtendienste seit 1970 über die Zuger Firma
Crypto AG namentlich Regime von Schwellenländern ausspioniert hätten.
Darunter die verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan.
«Beitrag für eine sicherere Welt»
Manipulierte Chiffriergeräte mit dem politischen Gütesiegel «made in
Switzerland» liessen, immer laut den «Crypto-Leaks», eine Hintertüre offen:
So hörten CIA und BND wohl mit, wenn sich argentinische Offiziere Ende der
siebziger Jahre via Funk über systematische Menschenrechtsverletzungen
austauschten, oder die iranischen Revolutionsgarden auf dem Höhepunkt der
Besetzung der US-Botschaft in Teheran taktische Anweisungen erhielten. Auch
der Friede von Camp David zwischen Israel und Ägypten soll massgeblich dank
Druckmitteln gelungen sein, welche die amerikanischen Dienste möglicherweise
über Crypto-Geräte abgesaugt hatten. Nicht betroffen von der Spionageaktion
waren die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Pakts, die
unmittelbaren Gegner der Nato im Kalten Krieg.
Für eine historische Wertung der Operation «Rubicon», wie die Amerikaner
diese Abhöraktion gemäss «Crypto-Leaks» nannten, fehlen zum jetzigen
Zeitpunkt wichtige Informationen. Die internationale Recherche mit
Beteiligung von SRF beruht weitgehend auf einer Studie des historischen
Dienstes der CIA und Repliken involvierter BND-Mitarbeiter. Die Dokumente
sind zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit authentisch, dienen aber primär der
internen Mythenbildung und beleuchten so nur einen Teil der Geschehnisse.
Wichtig ist deshalb die Aussage von Helmut Kohls ehemaligem, ebenfalls
illustrem Nachrichtendienst-Koordinator Bernd Schmidbauer gegenüber SRF, die
Operation habe dazu beigetragen, die Welt sicherer zu machen. Deutschland
ist 1993 aus «Rubicon» ausgestiegen.
Möglicher Schaden für Schweizer Tech-Branche
Die Enthüllungen der internationalen Medienkooperation bedeuten vor allem
einen Stresstest für die Neutralität der Schweiz. Laut der «Rundschau» hat
die Crypto AG mindestens bis 2018 mit der CIA kooperiert. Zudem sollen die
schweizerischen Nachrichtendienste über die Abhöroperation der Deutschen und
Amerikaner im Bild gewesen sein. Dies wirft mit Blick auf die Guten Dienste
der Schweiz unangenehme Fragen auf. Die Berner Diplomatie lebt vom Vertrauen
der Konfliktparteien in die schweizerischen Institutionen, dass diese trotz
abgebrochenen Beziehungen oder gar Kriegszustand die Kanäle offen halten. So
wie dies seit 1980 zwischen Iran und den USA oder gegenwärtig auch zwischen
Georgien und Russland der Fall ist.
Der Schweizer Nachrichtendienst soll von der Spionageaktion gewusst haben.
Peter Klaunzer / Keystone
Gleiches gilt für die Verlässlichkeit von Schweizer Tech-Firmen. Sie punkten
im Weltmarkt dank der gesetzgeberischen Unabhängigkeit des Standorts Schweiz
und der Sicherheit der Daten vor dem Zugriff ausländischer
Nachrichtendienste – ein Vorteil gegenüber amerikanischen Anbietern, die
seit der Snowden-Affäre und dem Cloud-Act die Etikette «unsicher» tragen.
Falls die Crypto AG tatsächlich bis vor zwei Jahren Teil des
CIA-Abhörnetzwerks war, schadet dies dem Ruf der ganzen Branche und damit
ihrem Wettbewerbsvorteil.
Bundesrat beschliesst unabhängige Untersuchung
Zudem hat die Bedeutung der herkömmlichen Verschlüsselungstechnik gerade
wegen der Aktivitäten der Grossmächte USA, Russland und China im Cyberspace
wieder zugenommen: Botschaften kleinerer Staaten nutzen laut einem Experten
für den vertraulichen Austausch mit der Hauptstadt chiffrierten Funk. Das
Gleiche gilt für unabhängig operierende Armeen. Bis heute haben Schweizer
Firmen auch in diesem Bereich einen guten Ruf.
Die Crypto AG wurde 2018 in einen internationalen und einen schweizerischen
Teil aufgespaltet. Beide Firmen versichern, nichts mit ausländischen
Nachrichtendiensten zu tun zu haben. Trotzdem hat Bundesrat Guy Parmelin
bereits letzten Dezember die Generalausfuhrbewilligung der «Crypto
International» sistiert, nachdem ihn die SRF-Journalisten mit ihrer
Recherche konfrontiert hatten.
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 15. Januar 2020 eine unabhängige
Untersuchung unter der Leitung von Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer
beschlossen. Er soll die Faktenlage klären und vor den Sommerferien Bericht
erstatten. Balthasar Glättli, Fraktionspräsident der Grünen, fordert eine
parlamentarische Untersuchungskommission (PUK).
Ausserdem hat sich der Vizedirektor des Nachrichtendienst des Bundes (NDB),
Jürg Siegfried Bühler, zu einem Auftritt im Dok-Film der «Rundschau»
entschieden, der am Mittwoch ausgestrahlt wird. Dies in seiner Eigenschaft
als ehemaliger Mitarbeiter der Bundespolizei (Bupo), der Vorgängerin des
heutigen Fedpol. Der Bupo wird vorgeworfen, eine Untersuchung gegen die
Crypto AG in den neunziger Jahren abgewürgt zu haben. Bühler, derzeit Chef
Beschaffung des NDB, übernimmt damit ein beachtliches persönliches Risiko im
Interesse der Sicherheitsorgane der Schweiz.
Glaubwürdigkeit im Informationskrieg
Insgesamt reagieren Bundesrat und Verwaltung mit bemerkenswerter Transparenz
auf die Recherche. Dies mit gutem Grund: Es geht im Kern um die
Glaubwürdigkeit der Schweiz im Informationskrieg der Gegenwart, der oft auch
mit Geschichten aus der Vergangenheit ausgetragen wird. Hauptsache, sie säen
Zweifel an der Aufrichtigkeit der Verantwortungsträger des Staates und damit
der freiheitlichen Ordnung.
Der Fall Hans Bühler
(geo.) Die Crypto-Spionagegeschichte geistert schon seit den frühen 1990er
Jahren durch Medien und Gerüchteküche. Damals wurde Hans Bühler, Mitarbeiter
der Zuger Firma, in Iran verhaftet. Nach seiner Rückkehr kam es angeblich
zum Streit mit der Crypto AG. Bühler ging an die Öffentlichkeit und warf
seinem ehemaligen Arbeitgeber vor, dass dieser ein Instrument der CIA und
des BND sei. Die «Rundschau» berichtete bereits 1994 über den Fall und liess
auch einen ehemaligen Crypto-Entwickler als Zeuge für die Manipulationen zu
Wort kommen. Der damalige Beitrag wird in den «Crypto-Leaks» zitiert.
Die falschen Fakten über angebliche Massenvernichtungswaffen in Saddam
Husseins Arsenal als Basis für den Irak-Feldzug 2003 oder auch der Schweizer
Fichenskandal 1989/90 bilden bis heute die Grundlage für Akteure aller Art,
das Wirken dunkler Kräfte ausserhalb der demokratischen Kontrolle zu
beschwören und die Eliten zu delegitimieren. Die Neutralität der Schweiz ist
genauso im Visier wie der Erfolg der Schweizer Wirtschaft. Dies ist
vielleicht einer der Gründe, weshalb die «Crypto-Leaks» überhaupt
aufgetaucht sind.
https://www.nzz.ch/schweiz/bundesrat-besorgt-ueber-spionage-in-der-schweiz-ld.1364770
Bundesrat besorgt über Spionage in der Schweiz
Gemäss einem Bericht des Bundesrates hat die Spionage in der Schweiz ein
erhebliches Ausmass angenommen. Im Falle eines Staates besteht gar der
Verdacht, dass mehr als ein Viertel des diplomatischen Personals
nachrichtendienstlich tätig ist.
10.03.2018
https://www.n-tv.de/der_tag/Der-Tag-am-Dienstag-11-Februar-2020-article21567935.html